Aus Tränen und Staub seien die
Menschen entstanden, heisst es in einem pharaonischen Mythos. Aus dieser Idee
entwickelt die ägyptische Schriftstellerin Mansura Eseddin ihre Gedanken über
das Glück.
von Mansura Eseddin (Mansoura Ez-Eldin)
Aus dem Arabischen von Angela Schader
In den Mythen der Pharaonenzeit
heisst es, dass die Menschen aus Tränen erschaffen wurden. Aus den Tränen der
Gottheit Ra, die auf die Erde fielen und sich mit dem Staub vermischten. Oder,
wie es eine Variante des Mythos will, aus den Tränen Atums, der abendlichen
Inkarnation des Sonnengottes Ra. So ist zwar nicht ganz klar, wer nun unser
Vater und Schöpfer ist; aber beide Erzählungen decken sich darin, dass wir aus
Tränen geschaffen sind.
Ra, so heisst es, habe eines seiner
Augen verloren und seine beiden Söhne ausgesandt, es zu suchen. Aber das Warten
auf ihre Rückkehr zog sich hin, und schliesslich fertigte sich der Gott selbst
ein neues Auge. Als das verlorene endlich zurückgebracht wurde, sah es mit
Schrecken, dass sein Platz besetzt war; es überfloss von Tränen des Grams, und
aus ihnen entstanden die Menschen.
Ra wollte auch dem überzähligen Auge
Wertschätzung und Ehre erweisen. Er übergab es der Gottheit Thot mit dem
Befehl, das Auge am Himmelszelt zu befestigen, damit es die Nacht erleuchte.
Und so wurde der Mond geboren.
Die altägyptische
Schöpfungsgeschichte lehrt uns, dass wir den Tränen auch die Entstehung des
Mondes und das Licht am nächtlichen Himmel verdanken; dass den Tränen mithin
Glück entsprang und dass Leiden den besten Weg zur Freude weisen kann. Denn im
Schatten des Leidens wächst unsere Sehnsucht nach Schönheit und Glück, und im
Lichte des Leidens wissen wir diese Geschenke besser zu schätzen.
Ich habe über den Begriff «Glück»
nachgedacht und dabei mein Leben neu lesen gelernt. Nicht, dass mich Reue
überkommen hätte oder dass ich in Nostalgie versunken wäre. Ich gewahrte
lediglich Glücksmomente, die mir im Moment, da ich sie erlebte, nicht als solche
erschienen waren. Ich erkannte Trauer, die sich im Gewand der Freude verborgen
hatte, und Augenblicke, die ich seinerzeit nicht mit der Tiefe und Intensität
empfand, die ihnen gerecht geworden wäre. Ich entdeckte vergangene
Glücksmomente, strahlend und überwältigend; aber sie waren verstreut und
verzettelt und manchmal schwer auszumachen unter dem Nebel des Gewöhnlichen,
Alltäglichen, immer Wiederkehrenden.
Ich erkannte, dass es – mit wenigen
Ausnahmen – erfundene, gleichsam handgefertigte Glückserfahrungen waren; ich
hatte sie erfunden und bewahrt aus dem festen Glauben heraus, dass Glück eine
Sache der Entschlossenheit und des Willens ist. Des Willens, dem Hässlichen und
Gemeinen zu widerstehen, im Herzen der Finsternis Lichtpunkte zu suchen und zu
sammeln, das Auge daran zu gewöhnen, Schönheit flink zu erhaschen und mit ihr
eins zu werden.
Ich lebe derzeit wie auf dem
Pulverfass in einer angstzitternden Stadt. Oder ich lebe angstzitternd in einer
Stadt – Kairo –, die zum Pulverfass geworden ist, ganz, wie es Dir, geneigter
Leser, besser gefällt. So oder so: Dieses Zittern, dies Leben im Zeichen der
Gefahr hat alle meine Poren für den Geschmack noch des leichtesten
Geisterhauchs von Glück geöffnet, an dem ich mich berauschen kann. In einem
solchen von Furcht und lauernder Unsicherheit gezeichneten Leben kann ich
trunken werden vom Anblick einer frisch aufgegangenen Rose, eines blühenden
Pfirsichbaums oder vom herzhaften Lachen eines Kindes, unbekümmert inmitten
dieser verkehrten, verwirrenden Welt.
Es sind kleine, simple Dinge, deren
ich mich früher vielleicht nicht einmal geachtet hätte. Aber jetzt reichen sie
aus, um Licht in meine Tage zu bringen, mich mit der Energie der Freude zu
versorgen, die ich nach Kräften und so lange wie möglich in meiner Erinnerung
zu speichern suche – auch wenn ich eigentlich glaube, dass man Freude nicht
erinnern kann. Sie ist dem Vergessen geweiht. Denn aus irgendeinem
unerklärlichen Grund bewahrt unser Gedächtnis Leid und Kummer und käut sie
genüsslich wieder, während Glücksmomente sich bald einmal im Nichts auflösen.
Als wäre das Glück seiner Natur nach zerbrechlich, kurzlebig, geneigt, mit dem
ersten Windstoss auf und davon zu fliegen, während die Trauer sich dauerhaft
niederlässt und Wurzeln schlägt.
Mansura Eseddin, 1976 im Nildelta
geboren, ist Schriftstellerin und Journalistin. Auf Deutsch ist ihr Roman
«Hinter dem Paradies» erhältlich, ihr jüngstes Werk, «Jabal al-zumurrud»,
erschien 2014.
Via: Neue Zürcher Zeitung
29-03-2015
No comments:
Post a Comment